Der Mensch, der Wartende! (Eine Kurzgeschichte)

Paladin

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Der Mensch, der Wartende! (Eine Kurzgeschichte)

Wir Menschen sind doch nichts anderes als Wartende.
Wir kommen mit dem Zug aus Geburt am Bahnhof „Leben“ an und warten darauf mit dem Zug nach Tod wieder fortzufahren. Dazwischen versuchen wir uns die Zeit sinnvoll oder weniger sinnvoll zu vertreiben. Unsere „Bahnhofsbevölkerung“ ist kunterbunt und ein verrückter Haufen. Die Menschen machen hier am Bahnhof viele Bekanntschaften und manche gehen sogar soweit, dass sie solange gemeinsam zusammen am Bahnhof warten, bis ihr Zug kommt. Die Wartenden schließen sich gerne in Grüppchen zusammen, wählen dann ihre Anführer von denen sie sich dann herumkommandieren lassen. Die Grüppchen balgen und raufen untereinander und sind dann so frustriert, dass viele Wartende ganz schnell in den nächsten Zug weg aus Leben einsteigen oder einfach reingeschubst werden. Es gibt auch viele Reisebüros am Bahnsteig. Sie versuchen immer wieder Kunden für ihre Ziele anzuwerben. Die meisten werden gleich bei ihrer Ankunft ohne dass sie etwas davon mitbekommen geködert. Da gibt’s ein großes Reisebüro, dass das Paradies verspricht und anpreist. Dort soll es wunderschön sein und deine Bekanntschaften vom Bahnhof sollen ja auch dort auf dich warten. Ein anderes Reiseunternehmen bietet Sextourismus an! 12 Jungfrauen sollen dich dort erwarten und ein Obstkorb steht bei Empfang bereit. Dann gibt es auch ein Reisebüro, das Züge mit Rundfahrten anbietet. Allerdings habe ich sie noch nicht wieder ankommen sehen. Entweder ist es eine lange Rundreise oder die Züge kommen wegen technischer Gebrechen nicht wieder bei Leben an. Es gibt noch viele andere, aber ich will jetzt nicht alle aufzählen. Die Reisebüros sagen immer, man soll sich an DEN Bahnhofswärter wenden, der zeigt einem den richtigen Zug und der gibt auch Tipps wie man richtig wartet. Die Meisten glauben dies, andere glauben es gibt mehrere Bahnhofswärter. Aber noch niemand hat den Bahnhofswerter so richtig gesehen. Es wird zwar oft gemunkelt, dass er vor kurzem hier oder dort gewesen sei, aber ich hab ihn noch nicht persönlich gesehen. Einigen soll er ja tatsächlich erschienen sein, die waren dann so überglücklich, das sie gleich ein Denkmal oder einen Schrein für ihn erbaut haben. Aber da er sich nicht so richtig blicken lässt, glauben viele er ist nicht hier oder es gibt ihn nicht. Geschichten von früheren Reisenden erzählen aber, dass er die ersten 6 Tage fleißig gearbeitet hat, er sich aber seit dem siebenten nicht mehr blicken ließ bei der Arbeit. Vielleicht ist er ja krank und liegt zuhause mit Fieber im Bett. Er soll einmal seinen Sohn hierher geschickt haben um nach dem Rechten zu sehen. Der Sohn ist dann aber ungewollt in einen Zug eingestiegen, ist aber nach einigen Tagen wieder zurück gekehrt. Anscheinend hat er einen der wenigen Rundreise- Züge erwischt. Manche Rundreise- Züge müssen ja anscheinend doch pünktlich sein und wieder hier her kommen. Aber so gut hat es ihm hier anscheinen auch nicht gefallen, da er nach insgesamt 40 Tagen wieder abgereist ist. Es gibt auch einige Reisende die eine Nahzug Erfahrung hatten. Sie konnten sogar noch die rote Abschlussleuchte des Zuges den sie verpasst hatten am Ende des Tunnels sehen.
Einige Wartende kaufen sich Unmengen von Tand während ihrer Wartezeit, manche bestehlen andere, aber niemand nimmt irgendetwas mit wenn er abfährt, komisch. Es gibt da ein lustiges Spiel, dass die Wartenden gerne am Bahnhof Leben spielen. Sie schubsen andere in einen Zug den diese gar nicht nehmen wollten und werden deshalb dann oft auch von den Kameraden der Anderen in Züge geschubst. Sie scheinen mir alle ein recht schadensfrohes lustiges Völkchen zu sein die Wartenden.
Sie sind auch sehr bequem, denn um angenehmer zu warten bauen sie sich sogar richtige Häuschen auf dem Bahnsteig. Einige betreiben Geschäfte und Fabriken bevor sie abreisen, damit die Wartenden sich ihre Häuschen bauen können oder sich irgendwelchen Tand zulegen können. Leider wird der Bahnsteig immer dreckiger und verkommener. Da die Leute ja nur auf ihren Zug warten und ja bald weg sind, macht sich fast niemand die Mühe etwas von dem Schmutz und Abfall den sie selbst verursachen wegzuräumen. Keiner denkt daran das die nächsten die mit dem Zug am Bahnhof Leben ankommen, ihn völlig versaut vorfinden. Einige verwirrte Wartende glauben, dass andere hochintelligente Wartende von einem weit weit weit entfernten Bahnsteig kommen und den Dreck beseitigen und uns das Warten angenehmer machen. Andere hoffen das der Bahnhofswärter vielleicht doch einmal vorbeikommt und saubermacht. In der Zwischen Zeit begnügen sie sich halt damit, über diese Zustände zu schimpfen aber nichts zu tun.
Viele Menschen fürchten sich von hier abzufahren aber durch das ständige Gedränge am Bahnsteig werden oft viele schon länger wartende einfach in einen Zug geschubst. Manche haben Glück und werden von ihren Bahnhofsbekanntschaften herzlich verabschiedet andere müssen sich ganz alleine auf den Weg machen. Für manche ist das Warten eine solche Qual, dass sie freiwillig einfach in den nächsten Zug der aus Leben geht springen und abfahren und dabei nicht einmal nachsehen ob es überhaupt der richtige Zug ist mit dem sie ursprünglich fahren wollten. Arme Menschen sind das. Schlimm wird es dann sollten sie einen von den seltenen Zügen erwischt haben, der wieder nach Leben zurück führt.
In letzter Zeit scheinen viele Züge aber Verspätung zu haben, denn die Reisenden warten immer länger. Manche Reisende werden sogar an Apparaten gefesselt um zu verhindern, dass sie ihren Zug aus Leben erreichen, aber die Züge kommen oft und irgendwann reißt jeder aus und reist ab.
Ich stehe hier am Bahnsteig in Leben und warte auf meinen Zug. Man muss oft vorsichtig sein, sonst wird man in einen falschen Zug gedrängt oder man verwechselt etwas und landet im falschen Zug. Sonst versuche ich mir die Zeit so angenehm wie möglich zu vertreiben und achte darauf andere Wartende nicht anzurempeln oder aus Versehen in Züge zu schubsen. Andere Reisende haben mir gesagt, dass ich mir keinen Stress zu machen brauche, da mein Zug erst sehr spät kommen wird. Ich suche also gerade verzweifelt nach dem Abfahrtsplan der Züge um mich zu informieren, da tippt mich jemand am Rücken an und fragt mit ruhiger sonorer Stimme: „Ist alles zu ihrer Zufriedenheit? Ich hoffe ihr Aufenthalt ist ein angenehmer!“. Ich drehe mich also um und sehe noch wie eine Person mit schwarzer Kappe und Uniform in der Menge untertaucht. Ich glaube das muss der Bahnhofswärter gewesen sein.......

bla bla von Paladin
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