Europäische Desintegration

streicher

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Gestern hatte ich eine Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union. Ein Gegenüber ist ein EU-Gegner und zieht eher ein Zusammenbrechen der EU einer weiteren Integration vor. Europäische Integration können wir derzeit ohnehin nicht beobachten. Großbritannien macht es vor, dass sogar ein Austritt möglich ist, nur erweist sich ein Austritt als Verfahren mit vielen Hindernissen.
Ich fand aber auch die anderen Gedanken, die er äusserte, interessant. Er würde auch ein Austreten des europäischen "Ostblocks" befürworten, die ohnehin mit den westlichen Werten nicht könnten, inklusive Österreich. Sollte sich der "Ostblock" abspalten, würde er die Staatsbürgerschaft wechseln und die österreichische annehmen. Österreich oder Polen sollten dann in dem "Ostblock" eine führende Rolle einnehmen.
Nunja, wenn Staaten mit der EU nicht mehr können, sollten sie gehen können. Tschüss! Inklusive freie Wohnort- und Arbeitswahl in der EU natürlich. Stopp irgendwelcher Zahlungen. Wenn, dann wirklich.
Es gibt sicherlich viele Dinge, die einem an dem Koloss "EU" nicht gefallen dürften. Aber friedlicher war es in Europa in den letzten sieben Jahrzehnten allemal: hieran musste der Gesprächspartner sogar erinnert werden.
Vielleicht ist die EU in den letzten zwei Jahrzehnten einfach zu schnell gewachsen.
 

haruc

Ehrenmitglied
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Nun, wenn man die Sache mal auseianderbuchstabiert, dann stellt man fest, dass es die EU eigentlich noch gar nicht so lange gibt. Und die Errungenschaften, die heute unter dem Namen "EU" verkauft werden, stammen aus einer Zeit, als es die EU in dem Sinn noch nicht gab.

Die EU wurde 1993 gegründet. Da hatten wir in Europa schon fast 50 Jahre keinen größeren Krieg mehr. Einen gemeinsamen Wirtschaftsraum gab es da auch schon seit über 30 Jahren, und das Schengener Abkommen, das die Personenfreizügigkeit in weiten Teilen Europas sicher stellt, war da auch schon acht Jahre alt.

Zusammenarbeit in Europa auf politischer, rechtlicher und vor allem wirtschaftlicher Ebene ist von fundamentaler Bedeutung für die Erhaltung des Friedens in Europa. Die EU braucht man dazu allerdings nicht, denn die wesentlichen Mechanismen zur Erhaltung von Frieden und Wohlstand haben schon vorher existiert und können auch ohne EU existieren. Vielleicht sogar besser, als mit ihr.

Mit eine der Ursachen für die "Krankheit" der EU ist, dass sie von denjenigen entworfen und gebaut wird, die von ihr profitieren, also den EU-Bürokraten. Das führt dazu, dass die EU nicht nach politischen Zweckmäßigkeiten eingerichtet wird, sondern primär Postenbeschaffung für ansonsten arbeitslose EU-Beamte im Vordergrund steht. Begünstigt wird das dadurch, dass die Verantwortlichen keiner Kontrolle unterworfen und nicht auf demokratische Legitimation angewiesen sind. Die paar Winkheinis, die wir alle paar Jahre für das teuerste Kasperltheater der Welt, das EU-Parlament, wählen können, hätten eh nichts zu sagen, wenn sie denn zu den Parlamentssitzungen gehen würden.

Das erklärt dann auch, warum es den Beteiligten nicht klar ist, wohin die Reise gehen soll. Was soll ein geeintes Europa sein? Was braucht es dazu? Was soll es können?
Es ist klar, dass jede weitergehende Integration dazu führen wird, dass die europakritischen Kräfte stärker werden und in absehbarer Zeit Staaten, nicht nur im Osten, von der EU abfallen.
Der Vorschlag des Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten ist unter diesen Gesichtspunkten das einzig Sinnvolle. Ergänzt werden müsste das dann noch durch Opt-Out Klauseln für jede weitere Stufe der Einigung.

Das führt dann zwar zu einem ziemlich uneinheitlichen Europa, allerdings mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass es überhaupt so etwas wie ein politisches Europa gibt. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass Staaten einige Maßnahmen, die sie zunächst abgelehnt haben, später doch noch annehmen.

Man muss sich entscheiden, was oberste Priorität haben soll: Ein EU-Superstaat mit weitestehend einheitlichem Recht und Regelungen, oder ein friedliches Europa, das auf der Kooperation der europäischen Staaten beruht. Danach muss sich die Wahl der Mittel richten.
 
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