Die gedopte Gesellschaft

Giacomo_S

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Es mag zwar weniger spannend sein als jede UFO- oder Freimaurer-Verschwörung, aber stiller und heimlicher laufen sie in jedem Fall ab: Die Mechanismen, wie Pharmaindustrie und der Komplex der Psychiatrie unsere Gesellschaft aushebeln und vielen Menschen die bürgerlichen Freiheiten nehmen.

Es lässt sich nicht mehr verheimlichen: Zwar ist der Krankenstand in bundesdeutschen Betrieben auf historische Tiefststände gesunken, gleichzeitig nehmen aber psychische Krankheiten mit 8% der Krankheitstage bereits die 4. Stelle in den Statistiken ein:

BKK schrieb:
Seit Beginn dieser Statistik hat sich ihr Anteil an den Krankentagen mehr als vervierfacht (1976: 2 % der Krankentage). Die Erkrankungsdauer bei psychischen Krankheiten (mit durchschnittlich 30,4 Tagen je Fall) ist erheblich länger als bei einem durchschnittlichen Erkrankungsfall (11,9 Tage). Psychische Erkrankungen sind die einzige Krankheitsart, die einen zunehmenden Trend aufweisen. Prävention wird hier verstärkt notwendig - gerade auch bei längeren Lebensarbeitszeiten.
Quelle: BKK

Prävention, schön und gut, nur: Wie soll diese aussehen ?
Aber wie immer hat die Industrie einer freien Marktwirtschaft eine Lösung parat: Hochwirksame, neue "Medikamente", "atypische" Psychopharmaka. Denn nach Meinung der Pharmaindustrie ist es nicht die Gesellschaft, die die Menschen krank macht. Sondern die Menschen leiden an einem gestörtem Gleichgewicht der Botenstoffe des Gehirns:

Das Pharmaunternehmen Eli Lilly schrieb:
Die bipolare Erkrankung kann auf veränderte Stoffwechselprozesse im Gehirn zurückgeführt werden. Möglicherweise ist bei der Erkrankung die Signalübermittlung von Botenstoffen beeinträchtigt, die für die Reizübertragung von Nervenzelle zu Nervenzelle verantwortlich sind.
Website Eli Lillys über bipolare Erkrankungen

Die Interpretation dieses Textes liegt im Detail: kann ... zurückgeführt werden.. Denn eigentlich müßten sie hier sagen: Wir wissen es nicht.
Denn diese sogenannte Transmitter-Theorie zur Erklärung psychischer Krankheiten ist nichts anderes als eine bisher unbeweisene Behauptung. Was sie auch nicht wissen: Wie ihre Medikamente überhaupt wirken.

Betroffenenseite schrieb:
DER MYTHOS DES CHEMISCHEN UNGLEICHGEWICHTES
Obwohl die SSRI-Hersteller zugeben, dass sie nicht wissen, wie ihre jeweiligen Medikamente wirken, behaupten sie, dass sie dazu beitragen, ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn auszugleichen. Die Annahme für jedes dieser Medikamente ist, dass deprimierte Menschen (das soll für alle deprimierten Menschen gelten) im Gehirn eine reduzierte Anzahl von Neurotransmittern namens Serotonin haben. Wie ein bekannter Psychiater es ausgedrückt hat: [SSRIs] korrigieren kein biochemisches Ungleichgewicht, diese Medikamente schaffen starke Ungleichgewichte im Gehirn. ...Der Gedanke, dass menschliches Leiden, psychologisches Leiden, biochemisch sei, ist einfach eine Werbeaussage, vielleicht die erfolgreichste der Weltgeschichte. Sie wurde von den Medikamentenherstellern geschaffen. Wir haben nicht einmal eine Technologie, eine wissenschaftliche Technologie, um zu messen, was innerhalb des Gehirns passiert ... es handelt sich buchstäblich um eine Lügengeschichte.

Wenn Sie das nächste Mal einen Werbespot für Zoloft, Prozac, oder Paxil sehen, passen Sie gut auf. Wenn der Pharmahersteller erklärt, dass eine Depression eine ernsthafte medizininische Erkrankung ist, die durch ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn verursacht wird, werden Sie feststellen, dass diese Aussage durch das Wort „könnte" o.ä. eingeleitet wird. Sie müssen diese Aussage durch ein „könnte" einleiten, weil diese Theorie nicht wissenschaftlich fundiert ist. Diese unbewiesene Theorie wurde von der pharmazeutischen Industrie propagiert, um psychotropische (bewusstseinsverändernde) Medikamente zu verkaufen.
Quelle

Aber eines wissen sie ganz genau: Das Geld damit verdient wird. Viel Geld.

Das Pharmaunternehmen Eli Lilly schrieb:
Das Pharmaunternehmen Lilly Deutschland hat im zweiten Quartal dieses Jahres 118,1 Millionen Euro umgesetzt. Dies entspricht einem Nachfrage-Wachstum von 9 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. [...]Hauptumsatzträger im zweiten Quartal waren die verschreibungspflichtigen Medikamente Olanzapin (Handelsname Zyprexa®) gegen Schizophrenie,
Eli lilly über das 2. Quartal 2006

Das muß auch nicht Wunder nehmen, denn Zyprexa, ursprpnglich zur Schizophrenie-Behandlung eingeführt, ist das vierthäufigste verkaufte Medikament überhaupt - weltweit:

Presseportal schrieb:
Das 1996 von Lilly eingeführte Schizophrenie-Medikament Zyprexa(R) (Wirkstoff Olanzapin) hilft heute mehr als elf Millionen Betroffenen in 90 Ländern. Mit circa 3,7 Milliarden US-Dollar in 2002 ist Zyprexa(R) das umsatzstärkste Medikament gegen psychische Krankheiten weltweit. In der Rangfolge der am häufigsten verkauften Medikamente steht Zyprexa(R) damit auf Platz vier.

2002 wurde das Medikament auch zur Behandlung manischer Episoden,
wie sie bei bipolaren Erkrankungen vorkommen, zugelassen.
(Hervorhebung durch mich)
Quelle: Presseportal

Und es liegt im Trend: Der Umsatz mit Antidepressiva ist im Vergleich zum Vorjahr in Deutschland 2003 um 8% gestiegen, der von anderen Psychostimulanzien gar um 12% Quelle.

Was aber die Pharmaindustrie gern unter den Teppich kehrt: Ihre "Medikamente" sind Drogen und sie verhalten sich auch wie solche. Oh was für schöne Worthülsen die Schulmedizin doch hat. Ein Patient wird auf Psychostimulanzien (= Drogen) eingestellt (=kontrolliert abhängig gemacht); setzt er sie abrupt ab, dann bekommt er Absetzsymptome (= Entzugserscheinungen) oder gar einen Rückfall (= die ungelösten und Verdrängten Probleme kommen mit aller Macht ins Bewusstsein).

David Taylor (Chefpharmakologe im Maudsley Hospital schrieb:
Die letzte Ausgabe des British National Formulary behauptet, dass das Absetzen einer bestimmten Gruppe der Antidepressiva – der neueren Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) – unter anderem zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Parästhesie (Kribbeln oder Taubheit in den Extremitäten), Schwindelgefühlen und Angstzuständen führen kann. Das klingt doch nicht so schlecht, oder? Andere Standardtexte versichern uns, dass Absetzsymptome von Antidepressiva für gewöhnlich mild verlaufen und von kurzer Dauer sind. Umso besser, mögen Sie jetzt sagen.

Obwohl dieser Hinweis mehr oder weniger richtig ist, gibt er uns keine Einsicht in die Realität des Absetzens von Antidepressiva. Ich weiß das nicht, weil ich etwas darüber gelesen habe, sondern, weil ich jeden Tag mit Menschen spreche, die durch diese Erfahrung gehen und, vielleicht noch wichtiger, weil ich selbst Erfahrungen mit dem Absetzen von Antidepressiva gemacht habe.

Die Wahrheit ist, dass für viele Menschen die Symptome beim Absetzen von SSRI weder mild noch kurzlebig sind. Ich hatte über einen Zeitraum von etwa 6 Wochen Symptome die im besten Falle verstörend waren und im schlimmsten Falle einer Folter gleichkamen. Ich hatte diese Symptome, obwohl ich einem vorsichtigen Absetzplan folgte, welcher eine langsame und schrittweise Reduzierung der Dosis vorsah. Während ich von Kopfschmerzen und Parästhesie verschont blieb, glich die Schwere der restlichen Symptome das mehr als aus. Die Schwindelgefühle variierten von einer leichten Wackligkeit bis zu einer fürchteinflössenden Unfähigkeit, ohne eine Stütze stehen zu können. Meistens konnte ich meinen Kopf nicht drehen, ohne eine lähmende Übelkeit damit auszulösen. Das alles wurde von ständigem Herzklopfen und einer sehr überzeugenden Grippenachahmung begleitet. Als all das nachgelassen hatte, fühlte ich mich über einen weiteren Zeitraum von etwa zwei Wochen sehr gereizt und litt unter Stimmungsschwankungen.
Keines meiner Gespräche mit anderen Betroffenen verleitete mich zu dem Glauben, meine Erfahrungen seien einzigartig oder auch nur ungewöhnlich.
Quelle: Betroffenenseite
 

agentP

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Alles recht und schön, aber was willst uns eigentlich damit sagen? Dass alle Deressiven ihre Medikamente absetzen sollen, weil das ohnehin überflüssiger Schwindel ist?

Prävention, schön und gut, nur: Wie soll diese aussehen ?
Aber wie immer hat die Industrie einer freien Marktwirtschaft eine Lösung parat: Hochwirksame, neue "Medikamente", "atypische" Psychopharmaka.
Wohl kaum. Mit diesen Medikamenten lassen sich womöglich Depressionen behandeln, aber sie sind doch nicht zur Prävention geeignet und ich bezweifle auch, dass das mehr als eine spekulative Unterstellung deinerseits ist. Der Text gibt das jedenfalls nicht her.
Denn nach Meinung der Pharmaindustrie ist es nicht die Gesellschaft, die die Menschen krank macht. Sondern die Menschen leiden an einem gestörtem Gleichgewicht der Botenstoffe des Gehirns:
Soweit ich weiss gibt es durchaus eine Menge Neurobiologen, die nix weiter mit der Pharmaindustrie zu tun haben, aber ebenfalls diese Theorie vertreten.

setzt er sie abrupt ab, dann bekommt er Absetzsymptome (= Entzugserscheinungen) oder gar einen Rückfall (= die ungelösten und Verdrängten Probleme kommen mit aller Macht ins Bewusstsein).
Das mag vielleicht der Grund sein, warum kein Arzt der ganz bei Trost ist solche Medikamente aprubt absetzen würde. Leider, und das kenne ich aus meinem Bekanntenkreis zur genüge, tun depressive Patienten das gerne, wenn sie den Eindruck haben sie seien stabil. Oft genug stammt die Motivation dazu von so tollen Seiten wie der oben genannten.

oder gar einen Rückfall (= die ungelösten und Verdrängten Probleme kommen mit aller Macht ins Bewusstsein).
Die Therie, dass Depressionen nur durch "Probleme" entstehen dürfte genauso unbewiesen sein, wie die Theorie, dass sie durch durch chemisches Ungleichgewicht entstehen.

Die Mechanismen, wie Pharmaindustrie und der Komplex der Psychiatrie unsere Gesellschaft aushebeln und vielen Menschen die bürgerlichen Freiheiten nehmen.
Inwieweit dein Post nun das erklärt ist mir nicht ganz klar geworden, denn welche bürgerlichen Freiheiten werden denn nun genau in deinem bEispiel von medikamentös behandelten Depressionen ausgehebelt.
 

hives

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As Labor Day approaches, it's time to look back on our favorite summer memories: family vacations, cookouts, days at the beach... children being plied with powerful pharmaceuticals.

When my 15 year-old daughter returned home from sleep-away camp this summer and began recounting her typical day, I was surprised to learn that it started not with swimming or camping or arts and crafts -- or even breakfast -- but rather with her fellow campers lining up to get their "morning meds."

That's right, popping prescription pills for attention deficit disorder, depression, anxiety, and mood disorders has become standard operating procedure at camps all across America -- as much a part of the summertime ritual as campfires, color wars, and "I wanna come home" letters.

According to one trade group representing 2,600 camps and 3 million campers (yes, even Camp Poison Ivy now has a lobbyist!), roughly a quarter of the kids at its camps are taking regular doses of psychopharmacologic drugs such as Ritalin, Concerta, and Straterra (ADD/ADHD), Prozac, Paxil, and Zoloft (anxiety and depression), and Clonidine, Lexapro, and Risperdal (mood disorders).
weiter:
Summer Camp 2006: "Hello Mudda, Hello Fadda" Has Been Replaced by "Hello Druggist, Hello MD"
 

antimagnet

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Giacomo_S schrieb:
Es lässt sich nicht mehr verheimlichen: Zwar ist der Krankenstand in bundesdeutschen Betrieben auf historische Tiefststände gesunken, gleichzeitig nehmen aber psychische Krankheiten mit 8% der Krankheitstage bereits die 4. Stelle in den Statistiken ein:

BKK schrieb:
Seit Beginn dieser Statistik hat sich ihr Anteil an den Krankentagen mehr als vervierfacht (1976: 2 % der Krankentage). Die Erkrankungsdauer bei psychischen Krankheiten (mit durchschnittlich 30,4 Tagen je Fall) ist erheblich länger als bei einem durchschnittlichen Erkrankungsfall (11,9 Tage). Psychische Erkrankungen sind die einzige Krankheitsart, die einen zunehmenden Trend aufweisen. Prävention wird hier verstärkt notwendig - gerade auch bei längeren Lebensarbeitszeiten.
Quelle: BKK

diese zahlen belegen aber keine zunahme der psychischen erkrankungen (sie widerlegen sie zwar auch nicht, aber es ist auch kein beleg).

beispiel:

1976 gab es 1.000 kranke: 800 mal tuberkulose, 100 mal beinbruch, 80 mal schnupfen, 20 mal psychisch (=2%).
2005 gab es 100 kranke: 92 beinbrüche, 8 psychisch kranke (=8%). der anteil hat sich vervierfacht, obwohl die psychischen erkrankungen um 60% gesunken sind (von 20 auf acht).

in meinem beispiel sind die psychischen erkrankungen sogar an die zweite stelle gerückt. warum? weil die medizin tuberkulose und schnupfen ausgerottet hat.

wie gesagt, das ist nur ein rechenbeispiel. die absolute zahl psychischer erkrankungen liegt mir nicht vor, ich weiß nicht, ob es sich so entwickelt hat. mit den genannten zahlen weiß es niemand, und ich frage mich, warum nur diese zahlen publiziert wurden. absicht oder einfach wenig ahnung von aussagekräftigen daten?

:gruebel:
 

Giacomo_S

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Für mich sind die Zahlen aussagekräftig genug. Und ohne es jetzt hier weiter zu belegen (die offiziellen Zahlen kann man im Netz finden): Die Zahl der Zwangseinweisungen in die Psychiatrie hat sich seit 1990 verdreifacht. Und sie sind unterschiedlich: In Bayern werden, auf die Bevölkeung bezogen, 9x mal so viele Menschen zwangseingewisen wie z.B. in Thüringen.
Verringert wiederum hat sich die Kriminalität, insbesondere die Gewaltkriminalität, aber auch Sexualdelikte. Die Medien zeichnen in ihrer Quotengier jedoch ein anderes Bild und walzen die Berichterstattung entsprechend aus. Mit diesen dramatisierten Infotainment-Stories lässt sich eben mehr Geld verdienen.
Folgerichtig mehr verunsichert und verängistigt ist der Bürger und fordert von den Autoritäten härteres Durchgreifen: Es führt zur Praxis "auffällige" Delinquenten aus dem Verkehr zu ziehen bevor eine Straftat begangen wird - ein fragwürdiges Verfahren in meinen Augen.

agentP schrieb:
Alles recht und schön, aber was willst uns eigentlich damit sagen? Dass alle Deressiven ihre Medikamente absetzen sollen, weil das ohnehin überflüssiger Schwindel ist?

Ich maße mir keinerlei Ratschläge an; letzlich entscheiden können es ohnehin nur die Betroffenen selbst.
Nur: Wer definiert denn eigentlich, welches Verhalten "krankhaft", wer als "depressiv" einzustufen ist und vor allem wie ? Die Psychiatrie gibt sich gern den Anstrich seriöser Schulmedizin, aber im Vergleich zu anderen Disziplinen sind ihre "Diagnosen" ausschließlich Verhaltensanalysen. Ein objektiver Befund (Messungen, bildgebende Verfahren usw.) sind in der Psychiatrie nicht möglich und es ist sehr zweifelhaft, ob es sie je geben wird. Und nicht einmal die "Diagnosen" sind einheitlich, nicht einmal im Westen: So z.B. wird in den USA weitaus häufiger die Diagnose Schizophrenie gefällt als in Deutschland, in Frankreich wiederum kaum.

Dem gegenüber steht ein gesellschaftlicher Druck, jederzeit gut gelaunt, entspannt zu sein - und das bei höheren seelischen Belastungen durch die Arbeit oder der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.
Wohin dies führt, kann man sehr gut an den USA beobachten. Als Spitzenreiter (Psychische Krankheit: 26%) wird vor allem die medikamentöse Behandlung favorisiert (denn Psychotherapien werden von meisten Kassen nicht bezahlt), gleichzeitig hat man den "War on Drugs" zur Chefsache erklärt. Scheinheiliger geht es kaum: Man kriminalisiert Drogen und gibt den Menschen dann auf "freiwilliger" Basis andere. Tatsächlich haben schon eineige Schulen einen guten Anteil ihrer Schüler unter Ritalin; gleichzeit haben sie aber auch einen schwunghaften "illegalen" Handel dieses Amphetamins auf den Schulhöfen zu unterbinden.

Und er Ausblick ? Die Pharmaindustrie schielt schon nach neuen Märkten: Den Substanzen, die heute noch illegal sind:

If Drugs were legal, BBC-Dokumentation, engl. ca. 1 Std.

Übrigens: Die Spielfilm-Handlung ist erfunden.
Die Zitate sind real.
 

antimagnet

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Giacomo_S schrieb:
Für mich sind die Zahlen aussagekräftig genug.

dann legst du unzureichende kriterien als maßstab an. die zahlen sind nicht für mich nicht aussagekräftig genug, sie sind es einfach nicht.

Und ohne es jetzt hier weiter zu belegen (die offiziellen Zahlen kann man im Netz finden):

es wäre schön, wenn du das belegen würdest, denn im netz finden lässt sich viel zu viel.

Die Medien zeichnen in ihrer Quotengier jedoch ein anderes Bild und walzen die Berichterstattung entsprechend aus. Mit diesen dramatisierten Infotainment-Stories lässt sich eben mehr Geld verdienen.

ist das die schuld der medien? oder des publikums, das solche stories haben will?

Folgerichtig mehr verunsichert und verängistigt ist der Bürger und fordert von den Autoritäten härteres Durchgreifen:

ist das so? die kultivierungshypothese ist zwar recht plausibel; aber eindeutig bestätigt ist sie ganz und gar nicht.


Es führt zur Praxis "auffällige" Delinquenten aus dem Verkehr zu ziehen bevor eine Straftat begangen wird - ein fragwürdiges Verfahren in meinen Augen.

fragwürdig zweifellos - aber auch hier: ist das so?

Nur: Wer definiert denn eigentlich, welches Verhalten "krankhaft", wer als "depressiv" einzustufen ist und vor allem wie ?

gleich vorneweg: ich weiß es nicht. es gibt allerdings auch in der psychologie tests, mit denen man "die psyche vermessen" kann.

Die Psychiatrie gibt sich gern den Anstrich seriöser Schulmedizin, aber im Vergleich zu anderen Disziplinen sind ihre "Diagnosen" ausschließlich Verhaltensanalysen. Ein objektiver Befund (Messungen, bildgebende Verfahren usw.) sind in der Psychiatrie nicht möglich und es ist sehr zweifelhaft, ob es sie je geben wird.

wenn du unter objektivität das verstehst, was wissenschaftler unter objektivität verstehen, so gibt es - zumindest in der psychologie - objektive tests (ob es da einen unterschied zur psychiatrie gibt, weiß ich nicht). sowas ist recht simpel: fragebögen mit vordefiniertem auswertungsschema, und schon ist die auswertung von der person des auswerters unabhängig. mehr objektivität gibt es nicht.



das hört sich jetzt so an, als würde ich dir voll kontra geben. soll's gar nicht. dass in bayern 9mal mehr zwangseingewiesen werden, in den usa x-mal häufiger schizophrenie als in frankreich diagnostiziert wird, und die amerikanische doppelmoral in sachen legale und illegale drogen halte ich für sehr problematisch und fragwürdig. ich glaub nämlich nicht, dass es in bayern und den usa mehr "verrückte" gibt, als anderswo.

im übrigen sollte man aber berücksichtigen, dass die diagnose einer physischen ursache für depressionen eine rechte erleichterung für die patienten sein kann. sie sind dann nämlich nicht mehr selber schuld an ihren trüben gedanken - was ich für ein häufiges vor- und fehlurteil halte...
 

Giacomo_S

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antimagnet schrieb:
es wäre schön, wenn du das belegen würdest, denn im netz finden lässt sich viel zu viel.

WDR Ratgeber Recht schrieb:
Allein in NRW stieg die Zahl der Unterbringungsverfahren innerhalb von zehn Jahren um das Dreifache an. Warum ist das Risiko eines Bayern siebenmal höher als das eines Thüringers, irgendwann in der Psychiatrie zu landen? Gibt es in Bayern wirklich so viel mehr gefährliche Geisteskranke, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss?
Quelle

Zahlen & Belege allein sind nicht immer das Nonplusultra einer Argumentation, aber bitte, ich kann sie liefern.

Denn § 1906, Abs. 1 BGB regelt klar, wer untergebracht werden darf: nur derjenige, der sich selbst oder andere lebensbedrohlich gefährdet - so ist es im Betreuungsrecht geregelt.
Quelle

O.g. Grundlage stimmt übrigens für die meisten Bundesländer - nicht aber für Bayern. Hier reicht eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung aus:

PsychKG Bayern schrieb:
(1) 1 Wer psychisch krank oder infolge Geistesschwäche oder Sucht psychisch gestört ist und dadurch in erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet, kann gegen oder ohne seinen Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus oder sonst in geeigneter Weise untergebracht werden.
Quelle

Wie beliebig sich ein solcher Gummiparagraph ausdehnen lässt, kann man sich vorstellen. Aber in Bayern herrscht eben Ordnung.

antimagnet schrieb:
gleich vorneweg: ich weiß es nicht. es gibt allerdings auch in der psychologie tests, mit denen man "die psyche vermessen" kann.

Ich sprach von der Psychiatrie, nicht von der Psychologie.

antimagnet schrieb:
wenn du unter objektivität das verstehst, was wissenschaftler unter objektivität verstehen, so gibt es - zumindest in der psychologie - objektive tests (ob es da einen unterschied zur psychiatrie gibt, weiß ich nicht).

Oh ja, den gibt es.
Den aufgrund ihres Selbstverständnisses versteht sich die Psychiatrie als medizinische Wissenschaft und nicht als Geisteswissenschaft.

Aber wir kommen vom Thema ab.
Denn eigentlich ging es mir um die als "psychisch krank" definierten Menschen eher nur am Rande.
Denn die Übergänge sind fließend, und es ist schon lange kein Geheimnis mehr, daß im Wahn der Machbarkeit des materiellen Denkens die Pharmaindustrie einen neuen, gigantischen Markt wittert: Die Gesunden. Es gibt auch schon einen Begriff dafür. Man nennt es Neuro-Enhancement:

Informationsdienst Wissenschaft e.V. schrieb:
Unter Neuro-Enhancement versteht man Maßnahmen zur gezielten Verbesserung geistiger Fähigkeiten oder psychischer Befindlichkeiten bei Gesunden. Dank des großen neurowissenschaftlichen Erkenntniszuwachses der letzten Jahre sind zahlreiche Ansätze zum Verständnis und zur Behandlung solch krankhafter Befunde wie Gedächtnisschwund, Aufmerksamkeitsstörungen oder Depressionen entwickelt worden. Die pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Interventionen, die hier wirksam Abhilfe schaffen können, eignen sich zumindest zum Teil zugleich auch als Enhancement-Methoden, zur Veränderung der Gehirnzustände bei Gesunden.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e.V.

Denken auf Rezept, ein Artikel der ZEIT zu diesem Thema aus dem Jahr 2003
Stern Artikel von 2005

antimagnet schrieb:
ist das die schuld der medien? oder des publikums, das solche stories haben will?

Kann man dies auch auf die o.g. Artikel anwenden ? Oder sollte man vielleicht ehrlicherweise sagen: Ist es die Schuld der Pharmaunternehmen, die solche Substanzen entwickeln, poduzieren, und propagieren - oder ist es nur der Konsument, der solche Stoffe schlucken will.
Mächtige Konzerne mit gut ausgestatteten Öffentlichkeitsabteilungen und hervorragenden Kontakten zu den Medien betonen gern diese Kernaussage des Kapitalismus: "Es ist ja deine freie Entscheidung dieses Produkt einzunehmen. Niemand zwingt Dich dazu."
Aber lässt uns - immer härter werdende - alltägliche Konkurrenzsituation im Arbeitsleben diese "freien Entscheidungen" denn überhaupt noch ?
Wie wird der Einzelne, der sich weigert, sich mit Psychostimulanzien selbst auf den öffentlichen Wunsch einzustellen, in der Konkurrenz bestehen können zu einem, der nie was vergisst, immer voll konzentriert ist und dazu noch immer so fantatstisch gut gelaunt ist ?
Aber machen wir uns nicht dazu zu den Voll-Robotern eines Systems, das uns auch noch das Letzte nimmt, was uns geblieben ist: Unseren Körper, unsere Seele ? Und von dem wir uns dann auch noch einreden lassen, wir müssten es tun, weil unsere Stimmungsschwankungen seien krankhaft, da Transmitter-gestört ?
 

Ehemaliger_User

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Giacomo_S, sag mir bitte, ob ich dich richtig verstehe: Du behauptest, indem du dich auf die von dir aufgeführten Artikel berufst, dass die Theorie, psychische Krankheiten hätten körperliche, neuronale Ursachen, eine Lüge der Pharmakonzerne sei, damit mehr entsprechende Medikamente verkauft werden könnten, dass diese Theorie aber durch keine wissenschaftlichen Methoden belegt werden könne. Soweit richtig? Aber wie viel präziser ist denn die von dir anscheinend favorisierte Methode, diese Erkrankungen psychologisch, und damit doch zu einem hohen Grade subjektiv, zu diagnostizieren? Wie kommt es denn, dass sich etwa Schizophrenie nicht nur im MRT bemerkbar macht, sondern dass vor kurzem ein Biomarker - nämlich veränderte Werte für Glucose und Stoffwechselprodukte im Liquor cerebrospinalis - dafür entdeckt wurde? Ich will dir damit übrigens nicht darin widersprechen, dass gerade in der Psychiatrie viele Fehlentscheidungen getroffen werden, sondern nur in deinem grundsätzlichen Unglauben an objektive Ursachen psychischer Erkrankungen.

Zudem halte ich es für wahrscheinlicher, dass die tatsächlichen Gründe in Proteinketten liegen als in solch ungreifbaren und letztendlich willkürlichen Begriffen wie Seele oder Psyche.
 

Picadilly

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Zahlen sind zwar ausagekräftigt aber man muss sie auch interpretieren. Nicht nur in eine Richtung.

Für mich ist es nicht so abwegig dass die psychischen Erkrankungen "zugenommen" haben.
Aber es ist in statistiken nur so viel weil Psychosen, Neurosen etc.. ein tabuiesiertes Thema waren und teilweise auch noch sind.
Da ging kaum einer zum Psyiachiater obwohl er es nötig gehabt hätte.
Heute ist das schon etwas anders. Es wird größtenteils als Krankheit aktzeptiert.
Das war auch das Problem in der Medizin dass viele eigentlich psychische Krankheiten zur pysischen deklariert wurden und somit 1. nicht in den Statistiken auftauchten und 2. falsch behandelt wurden.


Ich bin kein Freund von Medikamenten. Weil bsp. eine Schmerztablette eigentlich das ganze Nervensystem lähmt und nicht nur ausschliesslich die Stelle wo man den Schmerz empfindet.


Jedoch würde ich Psychose etc. nicht der Pharmaindustrie zuschreiben.
Man toleriert psychische Krankheiten einfach stetig mehr in der Gesellschaft.
Für mich ein Grund dass Statistiken heute mehr psychische Krankheiten beinhalten als vor 20-xyz Jahren.
 

Angel of Seven

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EVO schrieb:
Zudem halte ich es für wahrscheinlicher, dass die tatsächlichen Gründe in Proteinketten liegen als in solch ungreifbaren und letztendlich willkürlichen Begriffen wie Seele oder Psyche.


Dann erklär mir mal Kriegsneurosen oder das seelische Leiden von Vergewaltigungsopfern, mit diesen Proteinketten als tatsächlichen Grund der Erkrankung...


LG


AoS
 

forcemagick

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antimagnet schrieb:
Die Medien zeichnen in ihrer Quotengier jedoch ein anderes Bild und walzen die Berichterstattung entsprechend aus. Mit diesen dramatisierten Infotainment-Stories lässt sich eben mehr Geld verdienen.

ist das die schuld der medien? oder des publikums, das solche stories haben will?

nüja aber irgendwo ist halt doch die frage wieviel verantwortung das publikum noch hat... freilich kann man sagen die leute schauen sich den mist an und weils zieht machen es die medien und deshalb ist der geistige zustand des publikums irgendwo ursächlich für den mist, den die medien bringen.

damit kann man aber aus meiner sicht nicht rechtfertigen, dass die wirklichkeit derart verzerrt wird... frei nach dem motto "die wollen doch verarscht werden" tut man es dann auch guten gewissens... das halte ich nicht für richtig.

ansonsten ... um wieder auf das kernthema zurückzukommen ... denke ich dass es sicherlich in unserer beschleunigten und komplexen gesellschaft eher auch zu psychischen problemen kommt, die im gegensatz zu früher auch thematisiert werden ( ich denke vor sagen wir mal hundert jahren ist so manche psychische störung einfach unter einem mantel aus "disziplin, ordnung und preusischem verantwortungsgefühl" verschwunden... will heissen man hats halt in sich reingefressen und irgendwie weitergemacht und wenn man es gar nicht mehr packte und seine kinder und seine frau geprügelt hat wars ja auch ganz normal und überhaupt kein beleg für psychische krankheit in eine irrenanstalt wollte man bestimmt nicht und mit einem psychiater zu reden war wohl weniger "selbstverständlich" als heute ) ...
einerseits also produziert die gesellschaft vielleicht mehr psychische probleme, andererseits ist es heute auch eher möglich schon wegen kleinerer psychischer probleme zu einem entsprechendem arzt zu gehen und sich behandeln zu lassen ohne gleich in einer psychiatrie zu verschwinden. es gibt eine vielzahl von medikamenten und die mögen in so manchem fall auch etwas helfen.

die eine seite der medallie.
die andere seite ist wohl, dass gern schnell und viel medikamente verschrieben werden scheissegal ob es nicht auch alternativen gibt.
ich kenne es aus berichten aus dem bekanntenkreis ( leute die auch beruflich mit der materie zu tun haben und ein paar leute, die auf patientenseite begegnungen mit der materie hatten ) und da wird schon der eindruck geweckt, dass man es sich manchmal wohl schon recht leicht macht.
warum man nicht schlafen kann und weshalb man angstzustände hat ist oft gar nicht so wichtig.. hauptsache man nimmt seine pillen.... das problem wird nicht wirklich behoben sondern in eine chemische kiste gesperrt und wenn es gar nicht mehr geht, dann kann man ja ein neues medikament ausprobieren.

es ist leichter medikamente zu geben als sich probleme anzuhören und eine m patienten das psychologische rüstzeug zu geben mit seinen problemen klarzukommen.
anstatt gesprächssitzungen gibt es halt ein rezept.
das spart zeit und kopfzerbrechen.

die pharmaindustrie ist keine vereinigung heiliger und man hat ja auch schon gelesen, dass krankheiten regelrecht erfunden wurden um absatzmärkte zu schaffen ( wie war das mit dem münchhausensysndrom oder gar dem sissisyndrom? ).

psychische krankheiten haben wohl viele gesichter.... bei manchen mag ein chemisches gleichgewicht im körper nicht mehr stimmen, bei anderen mag das nicht der fall sein. manche pille mag symptome lindern, kann vielleicht sogar das problem dauerhaft beheben helfen, manche pille ist sicherlich voreilig verschrieben und eingenommen und sogar eher schädlich als hilfreich weil der unter den symptomen leidende eher eine psychotherapie bzw. eine veränderung der lebensumstände benötigen würde um zu gesunden... so manche psychische erkrankung ist vielleicht letztlich gar keine....
 

Tino

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Hallo Giacomo,

Zwangseinweisungen in eine psychiatrische Anstallt sind streng kontrolliert. Die Idee, daß man nur einen Arzt anrufen müsse um die Oma loszuwerden, oder daß die Polizei einen unbequemen Zeitgenossen damit aus dem Verkehr zieht ist eine moderne Legende.

Du vermengst in deiner Kritik mehrere unabhängige Sachverhalte, von denen einige eine durchaus gerechtfertigte Kritik darstellen. Letztlich aber baust du mit den Einzelpunkten ein falsches Bild zusammen.

Erst mal zur Zwangseinweisung selber; Wikipedia hat dazu einen ganz guten Artikel:
http://de.wikipedia.org/wiki/Zwangseinweisung

Die Grundvoraussetzung für eine Zwangseinweisung ist die Selbst- oder/und Fremdgefährdung. Geregelt wird dies durch eine (amts-)ärztliche Untersuchung in Zusammenarbeit mit der Polizei und den Gesundheitsämtern. Da es keine einheitliche Regelung gibt, unterscheidet sich die genaue Prozedur von Bundesland zu Bundesland.

Und hier währe auch schon meine erste Frage an dich:

Du befürwortest also, daß erst etwas passieren muß, bevor man an eine Zwangseinweisung durchführen kann, habe ich das richtig verstanden? Das würde bedeuten, daß man bei jemandem, der seine Familie gefährdet (z.B. weil Stimmen ihm irgendwas befehlen – schizophrene Störungen haben das recht häufig) in Ruhe abzuwarten, bis etwas passiert? Oder willst du jemandem, der sich umbringen will (z.B. ein Jugendlicher, weil seine erste Liebe davongelaufen ist) , beim sterben zusehen (man kann sich natürlich auch dezent umdrehen und weggucken).

Deine Kritik an den zugenommenen Zwangseinweisungen lassen übrigens sich auch anders interpretieren. Z.B. könnte die Sensibilität für derartige Probleme zugenommen haben, nicht alles muß –nur weil es uns nicht gefällt- schlecht sein.

Frage zwei:

Das Menschen an psychischen Erkrankungen leiden wirst du vermutlich mal nicht gänzlich abstreiten. Das dies früher eine Tabuzone war und die Betroffenen neben der Erkrankung noch an der gesellschaftlichen Ausgrenzung litten (und dies teilweise auch heute noch tun) halte ich auch mal für klar. Ab wann definierst du denn eine psychiatrische Erkrankung? Normalität ist immer eine willkürliche Einteilung und gerade in den Grenzbereichen wird schnell klar, wie unscharf unsere Vorstellung von Normalität ist. Andererseits gibt es Menschen, die definitiv anders sind und damit große Probleme haben. Wo ziehst du die Grenzen der Normalität?

Die Pharmalobby hat mit der gestiegenen Anzahl der Zwangseinweisungen nichts zu tun, oder wenn doch, zeige mir mal genau wo. Nur die Tatsache, daß die ein oder andere Firma ein Medikament auf den Markt bringt und du deine Kritik vor allem auf die PR-Texte der Firmen konzentrierst , alleine ist ein schlechtes Argument.

Und die (deiner Meinung nach) unbewiesenen Hypothesen der Psychiater zu den Pathomechanismen von psychischen Erkrankungen, wo genau sind sie unbewiesen? Wie genau hast du dich mit der Thematik überhaupt auseinandergesetzt, um zu wissen, was in der Psychiatrie bewiesen ist und was nicht?

Und wenn man alles Zusammenwirft, ein wenig umrührt hat man das farblose Bild, daß du mit deinem ersten Posting entwirfst. Zu fast jedem der Einzelpunkte kann man und sollte man detailliert diskutieren. Doch einfach so ein bißchen altklug rumstänkern ist doch viel schöner, oder?
 

forcemagick

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Tino schrieb:
Doch einfach so ein bißchen altklug rumstänkern ist doch viel schöner, oder?

nur um das im vorfeld mal etwas klarzustellen, denn bisher lief die diskussion zu dem thema ja nicht schlecht, was auch so bleiben soll, es ist nicht nötig und nicht erwünscht hier all zu persönlich zu werden

ich hoffe ich habe mich da verständlich ausgedrückt
 

Ehemaliger_User

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Angel of Seven schrieb:
Dann erklär mir mal Kriegsneurosen oder das seelische Leiden von Vergewaltigungsopfern, mit diesen Proteinketten als tatsächlichen Grund der Erkrankung...
Das kann ich nicht erklären. Aber da das Denken und die Wahrnehmung, und somit auch alles, was mit ihnen zusammenhängt, Darstellungen unseres Gehirns sind, ist es gut möglich, dass auch solche Leiden auf einer entsprechenden Basis begründet sind. Immerhin ist es zumindest möglich, diese Proteinketten, ihre Funktionen sowie ihre Wirkungen und Wechselwirkungen bis ins letzte Detail zu erklären; aber erkläre mir doch bitte einmal - fundiert -, was eine Seele, ein Geist oder eine Psyche ist.
 

forcemagick

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ich denke mal man kann seele und körper nicht trennen ... erinnerungen etwa sind ja auch chemische konfigurationen genauso wie wohl letztlich unsere art zu denken und zu empfinden nicht zuletzt eine frage der hirnchemie ist ... dennoch glaube ich nicht dass alle probleme, die im zusammenhang mit unserem psychologisch/physiologischem system auftreten, mit chemischen eingriffen behebbar sind....
unschöne und traumatische erfahrungen kann man schwer einfach mit einem medikament tilgen und es ist auch die frage ob das wünschenswert wäre wobei diese erfahrungen aber eben auslöser für verhalten und empfinden sein mögen.. zwar kann man mit chemischen mitteln etwa die gemütslage aufhellen und empfindungen dämpfen und somit ein neues verhalten begünstigen, aber die frage ist ob das immer sinnvoll ist ob es das alleinseeligmachende element ist.
 

Giacomo_S

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Vielleicht sind die Verbindungen, die ich hier aufzeigen möchte nicht ganz klar geworden; ich werde später noch einmal darauf eingehen.
Doch zunächst einmal vorab: Grundsätzlich zweifle ich nicht daran, daß die eine oder andere offizielle Position ihre Wahrheiten beinhalten. Was ich aber bezweifle, sind die Ausmaße, die diese Entwicklung angenommen haben und die mittlerweile pauschalisierte und schemenhafte Handhabung, mit der vorgegangen wird.
(Es ist auch wahr, daß Salz in die Suppe gehört. Dennoch wird Niemand daraus die Schlußfolgerung ziehen, es müßte 1 kg Salz in den Topf).

Tino schrieb:
Hallo Giacomo,
Zwangseinweisungen in eine psychiatrische Anstallt sind streng kontrolliert. Die Idee, daß man nur einen Arzt anrufen müsse um die Oma loszuwerden, oder daß die Polizei einen unbequemen Zeitgenossen damit aus dem Verkehr zieht ist eine moderne Legende.
Von der Polizei habe ich auch gar nicht gesprochen. Genau genommen habe ich keiner einzelnen Person oder Institution in die Verantwortung genommen. Vielmehr sehe ich verschiedene Mechanismen am Werk, die wie Zahnräder ineinander greifen.
Es ist einfacher, jemandem die Freiheit zu nehmen durch die Psychiatrie, einfacher als durch das Gefängnis. Insbesondere dann, wenn der/diejenige bereits eine Vorgeschichte hat (diesen "Stempel" behältst Du dann Dein Leben lang. Jede Deiner Handlungen ist in diesem Sinne interpretierbar). Es mag "strenge" Gesichtspunkte geben, aber wie werden sie gehandhabt ? Der hinzugezogene Richter handelt, wie der Psychiater es empfiehlt. Und der wird dich dabehalten, wie auch immer Du Dich verhalten wirst. Jede Deiner Handlungen wird man im Sinne Deiner "Diagnose" interpretieren, außerdem wird der Psychiater nicht das Risiko eingehen zu haften, indem er Dich nicht aufnimmt. Daher wird auch nur von 40 angelieferten potentiellen Patienten einer wieder nach Haus geschickt.
Oder um es einmal anders zu sagen: Ich habe schon einmal jemanden einweisen lassen (müssen). Und ich habe Menschen erlebt, die dieses Verfahren für ihre vertrackten persönlichen Verhältnisse instrumentalisiert haben.

Tino schrieb:
Du befürwortest also, daß erst etwas passieren muß, bevor man an eine Zwangseinweisung durchführen kann, habe ich das richtig verstanden? Das würde bedeuten, daß man bei jemandem, der seine Familie gefährdet (z.B. weil Stimmen ihm irgendwas befehlen – schizophrene Störungen haben das recht häufig) in Ruhe abzuwarten, bis etwas passiert? Oder willst du jemandem, der sich umbringen will (z.B. ein Jugendlicher, weil seine erste Liebe davongelaufen ist) , beim sterben zusehen (man kann sich natürlich auch dezent umdrehen und weggucken).
Ehrlich gesagt bin ich unschlüssig, was richtig und was falsch ist in genannten Situationen. Aber es braucht nicht so drastische Beispiele.
Eine Freundin von mir wurde zwangseingewiesen wegen einer Manie (übrigens von ihren Schwiegereltern). Sie ist eine gute Autofahrerin - ich selbst bin mit ihr Auto gefahren, kurz zuvor. Es gab kein Strafmandat, keinen Alkohol, keinen Unfall - dennoch wurde ihr (und das ist übliche Praxis) kurz nach der Einweisung der Führerschein entzogen. Warum ?
Weil es zu einem Unfall hätte kommen können ? Zur Wiedererlangung muß sie übrigens ein Gutachten vorlegen, das sie aus eigener Tasche bezahlen darf (ca. 500,- EUR). Jedes Jahr. Nebenbei, habe ich genannte Freundin in dieser Zeit selbst direkt erlebt. Sie war extrovertiert, ja, vielleicht sogar manisch, aber eine Gefahr für sie selbst oder andere ? In meinen Augen nicht. Eher harmlos.
Aber das sahen ihre bürgerlichen Schwiegereltern und ihr spießiger Ehemann eben anders. Wie man in Bayern auf dem Land manches gern ein wenig anders sieht. Moralischer eben.
Wie weit will man gehen ? Kann man sagen, der Führerscheinentzug ist richtig, weil man aus der Statistik beweisen kann, daß Maniker mehr Unfälle machen ? Wenn dem so ist, darf man dann auch andere Bevölkerungsgruppen in Kaufhäusern ohne Straftat verhaften, weil man aus der Statistik weiß, daß sie mehr Delikte begehen könnten ?

Tino schrieb:
Du vermengst in deiner Kritik mehrere unabhängige Sachverhalte, von denen einige eine durchaus gerechtfertigte Kritik darstellen. Letztlich aber baust du mit den Einzelpunkten ein falsches Bild zusammen.

Dann konstruiere ich eben hier einmal mein Bild, subjektiv wie alle Postings hier. Es bleibt fragmentarisch, weil es der Realität entlehnt ist. Klare logische Zusammenhänge gibt es nur in wilden Verschwörungstheorien:

a) Die Pharmaindustrie entwirft ein mechanistisches Bild vom Menschen, denn sie kann nur am Verkauf ihrer Produkte etwas verdienen. Wichtigste Ziele ihres Handelns sind, wie in jeder anderen Branche auch: Profitmaximierung, Kostenminimierung, Erschließung neuer Märkte.
Das mechanistische Bild des Menschen reduziert Denken, Fühlen und Handeln auf ein theoretisches Konstrukt von Transmitter-Reaktionen.
Abweichendes Verhalten wird, mehr oder weniger unabhängig von geselsschaftlichen oder psychologischen Aspekten zu einem Transmitter-Ungleichgewicht erklärt.
b) Der behandelnde Arzt, Klinik usw. profitiert von diesem Bild. Einerseits braucht er sich nicht mit tiefenpsychologischen Therapien und/oder Reaktionen auf diese auseinandersetzen. Zum anderen braucht er sich nicht um eine Verhaltungsänderung seines Patienten bemühen. Dies unterscheidet ihn nicht von anderen Schulmedizinern; auch bei Bluthochdruck ist es leichter, den Patienten eine Substanz nehmen zu lassen, die den Blutdruck senkt, als ihn dazu zu bewegen, seine Lebensweise zu ändern (Ernährung usw.). Und schließlich wird aus dem (lebenslang) medikamentierten Patienten auch ein treuer Stammkunde. Er muß für die Verschreibungen kommen und die ständige Einnahme verlangt regelmässige Blutbilder.
c) Die Familien: Erfahrungen u.a. aus Italien zeigen, daß die Familien von psychisch Kranken dazu neigen, ihre eigenen Probleme auf den "Kranken" zu projezieren. "Gesundet" der "Kranke" kommt es oft zu deutlichen Störungen in den innerfamiliären Beziehungen.
d) Und letztlich der Patient selbst: Er muß sich mit seinen Stimmungschwankungen, Depressionen usw. nicht mehr auseinandersetzen: Er ist ja "krank", seine Transmitter sind gestört, er kann also nichts dafür. Und seine Stimmungen kann er ja mittels der "Medikamente" kontrollieren.

Tino schrieb:
Deine Kritik an den zugenommenen Zwangseinweisungen lassen übrigens sich auch anders interpretieren. Z.B. könnte die Sensibilität für derartige Probleme zugenommen haben, nicht alles muß –nur weil es uns nicht gefällt- schlecht sein.

Frage zwei:

Das Menschen an psychischen Erkrankungen leiden wirst du vermutlich mal nicht gänzlich abstreiten. Das dies früher eine Tabuzone war und die Betroffenen neben der Erkrankung noch an der gesellschaftlichen Ausgrenzung litten (und dies teilweise auch heute noch tun) halte ich auch mal für klar. Ab wann definierst du denn eine psychiatrische Erkrankung? Normalität ist immer eine willkürliche Einteilung und gerade in den Grenzbereichen wird schnell klar, wie unscharf unsere Vorstellung von Normalität ist. Andererseits gibt es Menschen, die definitiv anders sind und damit große Probleme haben. Wo ziehst du die Grenzen der Normalität?

Die "Grenzen der Normalität" kann Niemand eindeutig ziehen. Psychiater auch nicht.
Und in meinen Augen werden sie derzeit tüchtig aufgeweicht. Was sind denn normale Stimmungsschwankungen, was ist normale Niedergeschlagenheit, was normale Gereiztheit ?
Die USA sind wie so oft möglicherweise der Vorreiter einer Entwicklung, die uns noch bevorsteht. Und diese Entwicklung wird begleitet von Argumenten, die man immer wieder gern hört aus den Kreisen der Pharmaindustrie, aber auchvon ihnen hörigen Schulmedizinern:
"(1)Das Phänomen gab es schon immer nur hat man es früher nicht erkannt."
(2)Das wird bereits seit dem Altertum berichtet, nur hatte man früher keine geeigneten Medikamente."

In den USA steht - offiziell - mittlerweile jedes 5. Schulkind unter Ritalin.
Es soll bereits über 300.000 Kinder im Vorschulalter geben, die mit AHDS "diagnostiziert" sind und die unter Psychopharmaka stehen.
Nach offiziellen Schätzungen hat das Antidepressivum Prozac in den USA 20 Millionen Dauerkonsumenten (Quelle:Wikipedia).
Und da stellt sich dann noch einmal die Frage nach der Normalität. Ist es normal, nicht ständig gut gelaunt zu sein, Stimmungsschwankungen zu haben oder wird uns eine Gesellschaft des propagierten Positive Thinking (als normative Kraft des Faktischen), Bedingungen zu installieren, wo es sich niemand mehr erlauben kann - vor allem im Arbeitsleben - nicht ständig positiv, nicht ständig leistungsfähig und -willig, nicht ständig voll konzentriert zu sein.
Es ist richtig: Niemand wird zu Dir sagen: Dann nimm doch Prozac vor dem Kundengespräch, dann nimm doch Modafinil für die 12-Stunden-Schicht. Aber Du wirst Deinen Job verlieren an einen Roboter, der's tut.

Tino schrieb:
Die Pharmalobby hat mit der gestiegenen Anzahl der Zwangseinweisungen nichts zu tun, oder wenn doch, zeige mir mal genau wo.
Abgesehen davon, daß die Pharmalobby ganz offiziell in einigen Betroffeneninitiativen durchaus ihre Finger im Spiel hat ... die psychiatrischen Kliniken sind zu einem guten Teil einfach die Kehrseite dieser ganzen Geschichte, das Abfallprodukt.
 

DOC23

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Also ich kann aus erfahrung sagen das SSRI bei mir garnicht gewirkt haben.

Ich sie setzte nach nur 3 Monaten die Tabs (Seroxat) ab, da sie auf mich keine Wirkung zeigten.
Ausserdem kam es mir komisch vor das der Arzt gleich in der ersten stunde mir eine gratis probe Packung für einen Monat zu kommen lies. Ohne sich näher auf einen einzustellen. Ala Problem + Tabs = Lösung:O_O:

Doch als ich absetzte begann ein Tag zeitversetzt der Horror.
Bekam so ganz kurze blitze im Kopf, bei jeder Bewegung die ich machte blitzte meine "Seele" für millisekunden auf wie wen pulsar artig zuviel strom im hirn wäre das ca. 1000 mal am Tag oder öfter.
Gottseidank is es nach ner woche wieder weg gegangen aber das war nicht schön und das nach 3 mon. stellt euch vor ihr nehmt so n zeug 3-4 jahre

CU
 

Tino

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Hallo Giacomo,

Doch zunächst einmal vorab: Grundsätzlich zweifle ich nicht daran, daß die eine oder andere offizielle Position ihre Wahrheiten beinhalten. Was ich aber bezweifle, sind die Ausmaße, die diese Entwicklung angenommen haben und die mittlerweile pauschalisierte und schemenhafte Handhabung, mit der vorgegangen wird.
(Es ist auch wahr, daß Salz in die Suppe gehört. Dennoch wird Niemand daraus die Schlußfolgerung ziehen, es müßte 1 kg Salz in den Topf).

Also sprechen wir hauptsächlich über das Ausmaß, nicht über psychische Erkrankungen oder die Zwangseinweisung an sich?

Von der Polizei habe ich auch gar nicht gesprochen. Genau genommen habe ich keiner einzelnen Person oder Institution in die Verantwortung genommen. Vielmehr sehe ich verschiedene Mechanismen am Werk, die wie Zahnräder ineinander greifen.

An einer Zwangseinweisung ist aber nur eine begrenzte Anzahl an Menschen beteiligt. Da du bestimmte Mechanismen in den Vordergrund rückst, müßte man mal nachschauen, inwieweit die agierenden Personen überhaupt von deinen vermuteten Mechanismen erreicht werden.

Es ist einfacher, jemandem die Freiheit zu nehmen durch die Psychiatrie, einfacher als durch das Gefängnis. Insbesondere dann, wenn der/diejenige bereits eine Vorgeschichte hat (diesen "Stempel" behältst Du dann Dein Leben lang.

So einfach, wie du daß hier hinstellst ist das nicht. Und es gibt jede Menge Stempel, die man sein Leben lang behält, nicht nur in der Psychiatrie. Ein Verbrecher wird es auch mit jedem weiteren verbrechen schwieriger haben, seine Unschuld zu beweisen. Oder jemand, der jedesmal Feuer schreit um sich einen Spaß zu machen wird auch zunehmend unglaubwürdiger. Stempel sind leider existent und gehören zu unserem Alltag. Wichtig ist, sich gegen solche Stempelreflexe zu wehren. Da sind wir uns einig, aber in wie weit dein Pauschalurteil gerechtfertigt ist, da sind wir unterschiedlicher Meinung.
Oder um es einmal anders zu sagen: Ich habe schon einmal jemanden einweisen lassen (müssen). Und ich habe Menschen erlebt, die dieses Verfahren für ihre vertrackten persönlichen Verhältnisse instrumentalisiert haben.

Ich habe es schon mehrfach getan oder gesehen und bin von diesem Instrument auch nicht sonderlich begeistert. Für Verbesserungen bin ich aufgeschlossen, aber nicht für eine pauschale Verurteilung.

Ehrlich gesagt bin ich unschlüssig, was richtig und was falsch ist in genannten Situationen. Aber es braucht nicht so drastische Beispiele.

Bei der Frage nach der Zwangseinweisung an sich doch. Wenn du vor einem Selbstmörder stehst, von dem du weißt, sobald du ihm den Rücken zukehrst wird er/sie es erneut versuchen, stehst du im Handlungszwang. Entweder zurücklehnen und sagen: jeder ist seines Glückes Schmied - bzw. was geht mich das Leben anderer an; oder du mischst dich ein. Bei letzterem hast du nur eine begrenzte Anzahl von Handlungsmöglichkeiten, vor allem wenn du Notarzt bist und der nächste Patient wartet.

Das Beispiel deiner Freundin ist sicherlich dramatisch, aber jetzt mal andersherum gefragt, hättest du für ihre weitere Fahrtauglichkeit gebürgt? Juristisch und Finanziell?

Wie weit will man gehen ? Kann man sagen, der Führerscheinentzug ist richtig, weil man aus der Statistik beweisen kann, daß Maniker mehr Unfälle machen ? Wenn dem so ist, darf man dann auch andere Bevölkerungsgruppen in Kaufhäusern ohne Straftat verhaften, weil man aus der Statistik weiß, daß sie mehr Delikte begehen könnten ?

Statistik ist immer eines der schwächsten Argumente. Aber manisch kranke Menschen neigen zur Selbstüberschätzung und das ist schon recht gefährlich. Vor allem, da sie im Gegensatz zu einem z.B. Jugendlichen nicht die Möglichkeit haben die Finger vom Treibstoff (Alkohol) zu lassen. Es geht hier auch darum, welche Möglichkeiten der Mensch hat, inwieweit er selbst wirklich auch für daß was er tut verantwortlich gemacht werden kann.

Oder weniger juristisch: ein freier Mensch muß sich auch frei Entscheiden können. Psychisch Kranke haben diese Freiheit nicht, deshalb fühlen sie sich ja auch oft krank.

a) Die Pharmaindustrie entwirft ein mechanistisches Bild vom Menschen, denn sie kann nur am Verkauf ihrer Produkte etwas verdienen. Wichtigste Ziele ihres Handelns sind, wie in jeder anderen Branche auch: Profitmaximierung, Kostenminimierung, Erschließung neuer Märkte.
Das mechanistische Bild des Menschen reduziert Denken, Fühlen und Handeln auf ein theoretisches Konstrukt von Transmitter-Reaktionen.

Der medizinische Alltag ist nicht von der Hochglanzbroschüre eines Pharmaunternehmens bestimmt, auch wenn daß ein lieb gewonnenes Bild ist. Letztlich geht dein Argument dahin, daß Ärzte nicht fähig sind, zwischen einem Werbetext und der Realität zu unterscheiden und daß ihnen die Patienten scheißegal sind. Ist auch eine Form der Beleidigung, wenn auch nicht unbedingt gegen eine spezifische Person, so doch gegen eine Personengruppe gerichtet.

b) Der behandelnde Arzt, Klinik usw. profitiert von diesem Bild. Einerseits braucht er sich nicht mit tiefenpsychologischen Therapien und/oder Reaktionen auf diese auseinandersetzen. Zum anderen braucht er sich nicht um eine Verhaltungsänderung seines Patienten bemühen. Dies unterscheidet ihn nicht von anderen Schulmedizinern; auch bei Bluthochdruck ist es leichter, den Patienten eine Substanz nehmen zu lassen, die den Blutdruck senkt, als ihn dazu zu bewegen, seine Lebensweise zu ändern (Ernährung usw.). Und schließlich wird aus dem (lebenslang) medikamentierten Patienten auch ein treuer Stammkunde. Er muß für die Verschreibungen kommen und die ständige Einnahme verlangt regelmässige Blutbilder.

Was soll ich dazu sagen, ohne daß ich wieder eine Antwort in Rot bekomme? Vielleicht: beschäftige dich mal mit der Realität? Was weißt du über die antihypertensive Therapie, die Möglichkeit der konservativen Therapie (Abnehmen, Sport, gesunde Ernährung, etc.) und die Konsequenzen und Risiken für den Patienten? …

War aber gar nicht daß Thema, darum lassen wir diesen Einwurf mal weg. Letztlich sagst du, daß „der Arzt“ an sich ein fauler Sack ist, der zynisch den Patienten als störenden Reflexautomaten betrachtet, in den er irgendwelche Tabletten schmeißen kann, die nach der sorglosen und sinnlosen Lehre in Hochglanzbroschüren der Pharmaindustrie irgendwie helfen sollen, was „der Arzt“ (ein an sich unmündiges Wesen) auch breitwillig glaubt.

Um irgendwelchen Kommentaren vorzukommen: Der letzte Abschnitt war Ironie!

c) Die Familien: Erfahrungen u.a. aus Italien zeigen, daß die Familien von psychisch Kranken dazu neigen, ihre eigenen Probleme auf den "Kranken" zu projezieren. "Gesundet" der "Kranke" kommt es oft zu deutlichen Störungen in den innerfamiliären Beziehungen.

Wo hast du den das her?

d) Und letztlich der Patient selbst: Er muß sich mit seinen Stimmungschwankungen, Depressionen usw. nicht mehr auseinandersetzen: Er ist ja "krank", seine Transmitter sind gestört, er kann also nichts dafür. Und seine Stimmungen kann er ja mittels der "Medikamente" kontrollieren.

Oh man, schau dir mal die Moderne zur Zeit praktizierte Psychiatrie an. Alle außer dir sind fremdbestimmt. Erst „der Arzt“, jetzt „der Patient“. Zumindest hast du ein interessantes Weltbild und eine noch interessante Realitätswahrnehmung.

Die "Grenzen der Normalität" kann Niemand eindeutig ziehen. Psychiater auch nicht.
Und in meinen Augen werden sie derzeit tüchtig aufgeweicht. Was sind denn normale Stimmungsschwankungen, was ist normale Niedergeschlagenheit, was normale Gereiztheit ?

Wenn die Grenzen aufgeweicht werden, kann man das nur erkennen, wenn man vorher die Grenzen zumindest erahnen konnte. Also hast du doch eine Vorstellung von Normalität.

Die USA sind wie so oft möglicherweise der Vorreiter einer Entwicklung, die uns noch bevorsteht. Und diese Entwicklung wird begleitet von Argumenten, die man immer wieder gern hört aus den Kreisen der Pharmaindustrie, aber auchvon ihnen hörigen Schulmedizinern:
"(1)Das Phänomen gab es schon immer nur hat man es früher nicht erkannt."
(2)Das wird bereits seit dem Altertum berichtet, nur hatte man früher keine geeigneten Medikamente."

Und das die Pharmaindustrie immer und ausschließlich lügt, fast schon pathologisch ist auch klar. Beide Argumente an sich müssen nicht falsch sein, es kommt auf den Kontext an.

Dein nachfolgendes Beispiel mit Ritalin und Prozac ist ebenfalls interessant. Den beides hat mit deinem ursprünglichen Posting von der Zwangseinweisung nichts zu tun. Der Reflex nicht nur der Mediziner, sondern auch anderer Menschen zu Kontrolle ist – da sind wir uns mal einig – durchaus zu kritisieren. Aber nicht pauschal. Es gibt Kinder und Erwachsene, die durch die Anwendung Hilfe erfahren, und es gibt Mißbrauchskandidaten. Das wäre aber eine andere Diskussion, hier geht es doch wie gesagt um die Zwangseinweisung.

Abgesehen davon, daß die Pharmalobby ganz offiziell in einigen Betroffeneninitiativen durchaus ihre Finger im Spiel hat ... die psychiatrischen Kliniken sind zu einem guten Teil einfach die Kehrseite dieser ganzen Geschichte, das Abfallprodukt.

Die Pharmalobby, die Pharmalobby. Man kann sie für vieles verantwortlichen manchen (und das zu recht), aber nur weil irgendwo irgendein Zusammenhang mit Pharmafirmen gemacht werden kann, heißt daß ja nicht, daß sofort alles Lug und Trug ist. Die Realität läßt sich nicht so leicht auf einen Schuldigen reduzieren.


Hallo Antimagnet,

schätze, tino ist jetzt vom stuhl gefallen...

…äh… wie meinen?

Gruß Tino
 

antimagnet

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nuja, doc23 hat seine medikamente selbst abgesetzt, weil er keine wirkung gespürt hat, hatte dadurch probleme und meint, das medikament sei schuld - haut das dich nicht vom hocker?
 

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